Samstag, 7.Oktober – Matinee – der todt

Sa, 7.10.2023 Matinee, 11 Uhr, Toihaus Salzburg

der todt

Kantate für Bariton und Ensemble von Herbert Grassl

nach Texten von HC Artmann

Winfried Zelinka – Bariton & Instrumentalensemble der IPHG

Maria Mogas Gesana (Akkordeon), Anne-Suse Enßle (Blockflöten), 

Dieter Nel (Cello), Mathias Lachenmayr (Schlagwerk)

ÖE 

weitere Musik von Rebecca Saunders und Luciano Berio

Toihaus Salzburg

„mein stundensand ist durch. Die uhr hat außgeschlagen…“ Alexandriner im 20. Jahrhundert? Oh, ja, und wie! Feinfühlig spinnt Herbert Grassl seine Kantate für den großartigen Solisten Wilfried Zelinka (Oper Graz). Er spürt den Worten und Stimmungen nach, erweitert und vertieft diese. Flankiert wird seine Komposition von Rebecca Saunders Solowerk für Akkordeon und Luciano Berios „Gesti“ für Blockflöte solo. 

Gedanken zum Werk von Erhard Petzel

der todt

Bei Hans Sachs eine übliche Schreibung und über Jahrhunderte gebräuchlich, wird sie 1901 abgeschafft. Durch H.C. Artmann wieder aufgegriffen ist Altertümlichkeit die vorherrschende Assoziation im Themenkonglomerat von LEBENLIEBETOD. Eine Organisation Todt ermöglicht dem Naziregime seinen Krieg als Todesmaschinerie von den „Verteidigungswällen“ bis zu den unterirdischen Todesfabriken. Einer solchen Zuordnung entzieht sich der Dichter, der selbst den Krieg wie durch ein Wunder überlebte. Mit „Husaren und anderen Seil-Tänzern“ kleidet Artmann in skurrilen Texten das menschliche Wesen in ein absurdes Kostümfest. Der Husar lugt auch in den hier vertonten „XXV Epigrammata in teutschen Alexandrinern gesetzet“ hervor, erfährt darin aber eine Wendung ins Satyrhafte unter dem programmatischen Titel: „Vergänglichkeit & Aufferstehung der Schäfferey“. Im barocken Gestus in Form und mythischer Metaphorik stellt sich der apollinische Musensohn und Venus-Reiter der gegenseitigen Durchdringung von Tod und Leben im pantheistischen Aufgehen in die aus der eigenen (Ver-)Wesenheit genährte Natur.

Prof. Dr. Elmar Locher ködert den renommierten Salzburger Komponisten Herbert Grassl für das Literaturfest in Lana, zu Ehren H.C. Artmanns, die Epigrammata zu vertonen, die am 16.09.22 in der Marx-Kirche in Laas (Grassls Geburtsort) vom ensemble chromoson uraufgeführt werden. Nun selbst Jubilar, erfährt das Werk zum 75er des Komponisten seine Österreichische Erstaufführung. Ein geschlossener Liederzyklus, als Kantate vorgestellt, für ein Ensemble aus Blockflöten (Anne-Suse Enßle), Schlagzeug (Mathias Lachenmayr), Akkordeon (Maria Mogas Gesana), Violoncello (Dieter Nel) und dem Bassbariton Winfried Zelinka.

Ein schwirrender Klang aus vollständiger Ganztonleiter und chromatischem Gegenfragment, sphärisch verteilt in den Spektren von Blockflöte, Cello und Akkordeon, gepulst von Toms und aufgerührt mit Ratsche, bildet den Auftakt zum chorisch rezitierten „Prologue“, an sich nur eine Textmarke. In den leeren Raum das zugehörige Epigramm vom Vokalisten gesprochen zum mythischen Hintergrund des Dichters und den metaphorischen Abgrund des Toten. Das vorgestellte Material lässt sich in den folgenden 25 Epigrammen melodisch wie harmonisch für Chromatik, Ganzton- und akkordische Strukturen ausreizen, in die der Tritonus in teuflischer Tradition als Partner Tod auftrumpft. Zu diesen Farben tritt ein Kosmos diffiziler Spieltechniken für einen fahlen Hintergrund, aus dem das Ticken der Würmer zu hören und das Modern des Fleisches zu fühlen ist.

Die Qualen des Höllenfeuers fordern dem Sänger aberwitzige Sprünge ab, die von der bußfertigen Ahnung geschichteter Akkordik keinerlei Erleichterung erfährt. Beinah kontemplativ die Einsicht, vom Bäcker seines Lebens nun selbst zum Erdenbrötchen verbacken zu werden. In Mikrotönen wird der Gang des eigenen Abendsterns betrachtet. Zum Gezwitscher des Todes als eisern zupackender Vogel Greiff keimt der vergebliche Wunsch nach einem Jäger, der diesen erlege. So wird man nackt ins Ziel geworfen. Feierlich die Anrufung des Todes als Negator und Lebensender, beschaulich bukolisch der Abschied vom Lebenstag.

Ab Epigramm X die große Wende in einer umfassenden und hymnischen Wiederauferstehung in der Natur bis zum Jubelaufbruch im Lenzesrausche. Einschnitt mit XVI als bewegtes Rezitativ im Predigerton, die Abkehr von Sodomitern und Merkurianern polternd. Dezitiert persönlich wird der Dichter von seinem durch den neuen Lenz entfachten Heldentum programmatisch in die irdische Selbstermächtigung getrieben. Die letzten 5 Epigramme ringen um die Gegenposition zum Tod in der Liebe, die aber auch nicht unsterblich ist. Die letzte Ruh wird durch der Nymphe Kuss geraubt. Ein überirdischer Choral an den Mond, dann erstirbt das Herz nach sinnlosem Zuwarten. Der Epilog entspricht dem Beginn und endet den Zyklus im musiklos gesprochenen Chor.

„Anpasst hab’ i’ mi’ nie“, so Grassl zu Fragen der Stilistik. Seine Musik entwickelt Texte zu klar oder doch klarer verständlichen Botschaften voll stimmiger Empathie. So werden Epigramme zu Lebenszeichen, von der endlichen Natur des Menschen zum Überdauern in verfeinerter Kultur.